Geschrieben von Stephan Hildebrand

Lesedauer: ca. 8 Minuten

Illustrationen von Erik van Schoor

#5 Oma`s Geschichte

Die Sonne steht tief am Horizont, als Zuri munter wird. Sie möchte Oma`s Geschichte hören und versucht die Schlafmützen mit leisem Zwitschern zu wecken.

„Noch nicht Zuri! Erst wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist.“, sagt Chipo und schläft direkt wieder ein.

Seine Freundin wartet sehnsüchtig auf die Nacht und als es endlich soweit ist, platzt die Freude aus ihr heraus. Sie hüpft auf Chipo herum und ruft:

„Seht`nur wie der Mond strahlt. Es ist Zeit für Oma`s Geschichte!“

Chipo und seine Oma werden wach. Sie strecken ihre Glieder und richten sich auf. Als Chipo seinen Huf betrachtet, werden seine Augen groß und die Freude breitet sich in seinem Gesicht aus.

„Wow Oma, dein Trick mit den Beeren hat funktioniert!“, sagt er.

„Aber natürlich Chipo. Auf deine Oma kannst du dich verlassen.“, sagt sie.

Zuri freut sich auch, aber ihr Interesse an Oma`s Geschichte ist groß.

„Bitte erzähle uns deine Geschichte. Bitte!“, sagt sie und hüpft auf der Stelle.

„Geduld Zuri. Lass` uns erstmal etwas essen.“, sagt Oma und so gehen sie ein paar Sträucher und Bäume in der Nähe ab.

Die Nashörner essen kleine Zweige, Blätter und Früchte. Zuri schnappt sich einige Zecken von Chipo`s und Oma`s Rücken. Zu Zuri`s Glück kommen hin und wieder Neue dazu. Als alle satt sind, beginnt Oma ihre Geschichte zu erzählen.

„Du musst wissen Zuri, vor etwa 20 Jahren habe ich noch etliche Nachtmärsche von hier entfernt gelebt. Damals war es sehr gefährlich in der Savanne. Es kamen Gruppen von Zweibeiner in unsere Reviere, die haben sich selbst Menschen genannt und uns Nashörner gejagt. Viele meiner Verwandten und Freunde habe ich verloren. Und das alles nur wegen unserem Horn, das sie abgeschnitten und mitgenommen haben.“

Zuri findet das schrecklich traurig. Sie fragt, wie diese Zweibeiner aussehen und wie Oma damals entkommen konnte. Oma nimmt einen Zweig in den Mund und malt in den Sand.

Sie erklärt, dass die Menschen Ähnlichkeit mit Affen haben. Sie gehen aufrecht und bedecken ihren Körper mit Stoffen.

„Ich hoffe wir begegnen diesen Monstern nie!“, sagt Zuri.

„Das hoffe ich auch Zuri. Aber nicht jeder Mensch ist ein Monster. Es gibt auch gute Menschen. Ein paar Stunden nachdem die Menschen mit meinem Horn verschwunden waren und mich verletzt zurückgelassen haben, passierte ein Wunder. Es kamen wieder Menschen. Andere Menschen. Sie haben mich gerettet und mich mit viel Mühe über eine lange Zeit wieder aufgepäppelt. Ich sehe diese Menschen alle paar Jahre wieder. Ich erschrecke mich jedes Mal. Sie kommen, um mein Horn zu kürzen und haben immer ein paar leckere Früchte dabei. Ich verstehe bis heute nicht, wie sie es schaffen mich zu finden.“, sagt Oma.

„Das ist eine wirklich traurige Geschichte Oma. Aber ich bin froh, dass es dir wieder gut geht!“, sagt Zuri.

Chipo hat Oma`s Geschichte oft gehört. Er kennt jedes Wort und könnte sie selbst erzählen. Er war dennoch still und geht nun auf seine Oma zu und drück sie fest. Nach dieser Geschichte müssen alle erstmal durchschnaufen. Viel gemeinsame Zeit bleibt ihnen nicht mehr, denn Oma hat beschlossen sich gleich auf den Rückweg zu machen. Gemeinsam spazieren sie noch durch den kleinen Wald und unterhalten sich. Zuri schwärmt von den Maden und Zecken auf Chipos Rücken und von dem Spaß, den sie mit ihrem besten Freund hat. Und Chipo erzählt von seinem geheimen Badesee und wie er Zuri am Grenzbaum getroffen hat. Oma findet es klasse, dass die Beiden Freunde sind. Sie verabschiedet sich herzlich und marschiert davon.
Chipo und Zuri spielen noch Verstecken im Wald bis sie müde werden. Sie legen sich unter einen großen Baum und strecken ihre Glieder. Ein Gähnen tönt durch den Wald.

„Hua!“

Dann ist es still und sie schlafen tief und fest.

Ende