Geschrieben von Stephan Hildebrand

Lesedauer: ca. 8 Minuten

Illustrationen von Erik van Schoor

#1 Badetag

Ein sanfter Wind streicht durch die trockenen Felder. Gräser rascheln und für einen Augenblick tanzen Sandkörner über den Boden. Eine drückende Hitze beherrscht dieses Gebiet, in dem die Luft flimmert und Schatten kostbar ist. Die Tiere haben sich angepasst und gelernt ihre Kräfte einzuteilen. Das Spitzmaulnashorn Chipo liegt unter einem Akazienbaum und schläft. Sein Tag beginnt, wenn die Sonne untergeht und sich kurz darauf die lang ersehnte, kühlende Dunkelheit ausbreitet.

In der Nähe eines großen Baumes ist man selten allein. Zwei Paviane sind bereits munter. Die Affen kreischen und springen von Ast zu Ast. Blätter fallen wie Regentropfen zu Boden. Einer der Paviane landet vor Chipo`s Nase und kichert. Das Nashorn wird wach und öffnet seine müden Augen.

„Bongo! Schieb` gefälligst deinen Hintern hier weg und lass mich weiterschlafen!“, sagt er und seine Augen fallen wieder zu.

Bongo klettert zurück in die Baumkrone. Er fragt, ob Chipo seinen Badetag vergessen hat. Es dauert keine Sekunde, da richtet das Nashorn seinen schweren Körper mit den kurzen, aber kräftigen Beinen auf.

„Als ob ich meinen Badetag vergessen würde. Niemals. Wir sehen uns.“, sagt Chipo und senkt den Kopf, um sein Grinsen zu verbergen.

Er hat die saftigen Blätter am Boden entdeckt und isst sie. Es reicht nicht um satt zu werden, aber es ist ein guter Anfang. Auf dem Weg zum Badesee bleibt er bei einigen Sträuchern und Bäumen stehen und zupft mit seiner langen Oberlippe die Blätter, Zweige und Früchte ab. Manchmal isst Chipo sogar Baumrinde. Seine kräftigen Backenzähne zermahlen alles zu einem weichen Brei.

Viele Stunden vergehen, während er durch die endlose Weite der Savanne marschiert. Sein Weg führt quer durch Grasfelder und entlang eines Flussbetts, dass ausgetrocknet ist.
Chipo würde seinen Badesee mit geschlossenen Augen finden, so oft ist er diesen Weg gegangen. Doch wegen der vielen Dornenbüsche hat er es noch nicht ausprobiert. Er schleift lieber sein spitzes Horn über den Boden. Dabei staubt es und der Sand türmt sich entlang einer Linie auf. Chipo zieht die Linie so lang er kann und weicht Steinen und kleinen Sträuchern aus. Plötzlich schüttelt er sich und legt sich auf die Seite. Die Linie ist futsch.

„Menno, das juckt wie verrückt!“, jammert er und schubbert seinen Rücken am Boden.

Es sind kleine Zecken und Maden, die tief in seiner Haut stecken und ihn stören. Er wird dieses Ungeziefer nicht los, aber das Jucken lässt nach und er marschiert weiter – die ganze Nacht. Doch sein Badesee ist nicht zu sehen und Chipo ist durstig. Als er die Sonne aufsteigen sieht, verdreht er die Augen. Er spürt, wie sich der Boden und die Luft erwärmen und jeder Schritt anstrengender wird. Wenig später erreicht er die ersten, saftig-grünen Wiesen und beschließt das letzte Stück zu rennen. Nichts und niemand kann ihn jetzt stoppen.

Und da ist sie auch schon. Die kleine, geheime Oase am Rande seines Reviers. Chipo rennt mit voller Wucht ins kühle Nass. Das Wasser spritzt in die Höhe und Vögel fliegen ängstlich davon.

Für einen Moment hat Chipo die Hitze und den anstrengenden Marsch vergessen. Er stillt seinen Durst mit großen Schlucken und rennt das Ufer entlang. Es vergehen Minuten, bis er zur Ruhe kommt und sich im Schlamm wälzt. Der Schlamm ist angenehm kühl und schützt ihn vor den Sonnenstrahlen und vor Ungeziefer. Chipo ist völlig erschöpft und schleppt seinen müden Körper hinüber zum Schlafplatz. Es ist die größte Akazie am See und er legt sich in ihren Schatten. Zufrieden streckt er seine Vorder- und Hinterbeine von sich weg. Dann kneift er die Augen zusammen und gähnt mit weit geöffnetem Mund.

„Hua!“

Er zieht die Beine zu sich und macht sich klein. Gedankenlos blickt er in die Ferne. Seine Augen werden schwer und fallen langsam zu. Er schnauft ein letztes Mal, dann ist Ruh.

Ende